Warum wir den Begriff "Künstliche Intelligenz" vermeiden sollten

Worum geht es?

Auf dieser Website vermeiden wir den Begriff Künstliche Intelligenz (KI) Dafür gibt es drei Gründe:
  1. Die Definition von KI ist zeitlich nicht stabil
  2. Der Begriff KI enthält immer einen Vergleich mit menschlichen Fähigkeiten
  3. Der Begriff ist zu breit

Wie KI meist definiert wird

Wie für die meisten Begriffe existieren auch für die Bezeichnung "künstliche Intelligenz" verschiedenste Definitionen. Die meisten dieser Definitionen weisen einen Bezug zu menschlichen kognitiven Fähigkeiten auf.

Als künstliche Intelligenz (Kl) bezeichnet man eine Software, mit deren Hilfe ein Computer eine kognitive Tätigkeit ausführt, die normalerweise Menschen erledigen.

Quelle: Zweig, Katharina A. (2019) Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl.

Künstliche Intelligenz ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren.

Quelle: Europäisches Parlament (2020)

Solche Definitionen haben zwei Probleme: Sie sind zeitlich nicht stabil und sie wecken unerwünschte Assoziationen.

1. Die meisten Definitionen von KI sind zeitlich nicht stabil

Durch die rasante Zunahme der Fähigkeiten von Computern in den letzten Jahrzehnten sind solche Definitionen zeitlich nicht stabil. Was vor zwanzig Jahren normalerweise von Menschen erledigt wurde und somit als KI galt, wenn es erstmals durch einen Computer ausgeführt wurde, kann heute eine völlig alltägliche Computerfunktion sein (siehe Abb. x). Konkret: Als ein Computer erstmals den damals amtierenden Schachweltmeister besiegte, galt das als ausserordentlich und wurde als Beispiel von künstlicher Intelligenz betrachtet. Heute ist es normal geworden, dass ein Computer besser Schach spielen kann als ein Mensch. Somit gilt diese Fähigkeit gemäss Definition eigentlich nicht mehr als künstliche Intelligenz.

Dieses Phänomen ist auch unter dem Namen AI effect (Wikipedia:AI_effect) oder Tesler's theorem bekannt , nach dem Zitat von Larry Tesler:

AI is whatever hasn't been done yet.

2. Der Begriff KI enthält immer einen Vergleich mit menschlichen Fähigkeiten

Nicht nur Definitionen von KI machen meist einen Bezug zu menschlichen Fähigkeiten, bereits das Wort künstlich ist ohne den Gegensatz natürlich nicht denk- bzw. definierbar. So enthalten z.B. alle drei Definitionen des Dudens explizite Bezüge zum Natürlichen
  1. nicht natürlich, sondern mit chemischen und technischen Mitteln nachgebildet, nach einem natürlichen Vorbild angelegt, gefertigt, geschaffen
  2. natürliche Vorgänge nachahmend, nicht auf natürliche Weise vor sich gehend
  3. gekünstelt, unnatürlich

Quelle: Duden online

Bei gewissen Definitionen von KI besagt also die Definition des Begriff explizit, dass es darum gehe, menschliche Fähigkeiten zu imitieren, bei anderen ist es nur das Adjektiv künstlich, das den Vergleich implizit anklingen lässt. Dieser explizite oder implizite Vergleich von maschinellen mit menschlichen Tätigkeiten kann bewusst oder unbewusst erfolgen, prägt aber unsere Wahrnehmung der maschinellen Systeme. Mit dem Verzicht auf den Begriff KI möchten wir diese bewusste oder unbewusste Konnotation vermeiden.

3. Der Begriff KI ist zu breit

Für zielführende Diskussionen ist der Begriff KI nicht nur zeitlich zu instabil - er ist oft auch zu umfassend. Konkret gibt es derzeit oft zwei Unklarheiten:
  • Nur generative Systeme oder auch nicht generative Systeme?
    Derzeit wird sehr oft der Begriff KI verwendet, obwohl eigentlich nur über generative Systeme, bzw. noch enger nur über Textgeneratoren gesprochen wird. Während dies kurzfristig nicht problematisch sein muss, blendet es z.B. alle anderen Einsatzmöglichkeiten von machine learning aus.
  • Subsymbolische Systeme oder auch symbolische Systeme?
    Derzeit wird auch oft der Begriff KI verwendet, obwohl eigentlich nur datengetriebene Algorithmen / Machine-Learning-Systeme gemeint sind. Damit werden etwa regelbasierte Systeme, Expertensysteme mit Entscheidungsbäumen und andere Verfahren ausgeklammert, die ebenfalls dem Bereich künstliche Intelligenz zugeordnet sind, aber nicht auf der automatisierten Auswertung grosser Datenmengen beruhen (Explizite Wissensmodellierung - statt Training mit grossen Datenansätzen)

Ähnlich wie Diskussionen zu den Potenzialen und Herausforderungen von elektrischer Energie in der Schule vermutlich wenig zielführend sind, halten wir auch allgemeine Diskussionen zum sehr schwammig definierten Begriff KI in der Bildung nicht für zielführend.

Fazit

Es ist nicht optimal, einen Begriff zu verwenden, dessen Bedeutung sich dauernd verändert, bald nicht mehr vom Begriff “Computer” unterscheidbar ist und unerwünschte Assoziationen weckt.

Unsere aktuellen Begriffe: «machine-Learning» und «generative Machine-Learning-Systeme»

Derzeit verwenden wir die Begriffe generative Machine-Learning-Systeme (GMLS) für den engeren Bereich derjenigen Systeme, die aufgrund von vielen Trainingsdaten und konkreten Prompts Texte, Bilder, Töne und Videos generieren und machine learning als übergeordneten Begriff für alle Systeme, bei denen grosse Datenmengen als Training für zukünftiges Verhalten der Systeme verwendet werden.


Regelbasierte und datengetriebene Systeme
(Erklärung der Grafik als Video)

P.S.: Wäre SALAMI besser?

Der italienische Jungpolitiker Stefano Quintarelli hat 2019 den schönen, aber nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag gemacht, statt von "Künstlicher Intelligenz" von SALAMI-Systemen zu sprechen (Systematic Approaches to Learning Algorithms and Machine Inferences).

Weiterführende Informationen

PHSZ Logo

Die Website gmls.phsz.ch ist eine seit Dezember 2022 laufend erweiterte Sammlung von Einordnungen der Professur "Digitalisierung und Bildung" der Pädagogischen Hochschule Schwyz zur Frage, welche Auswirkungen generative Machine-Learning-Systeme wie ChatGPT auf die Schule haben.

Lizenz: Die Website steht unter einer CC-BY-ND-Lizenz, Bilder und Texte dürfen somit unter Quellenangabe an anderen Orten verwendet werden.

Zitationsvorschlag: Döbeli Honegger, Beat (2023). ChatGPT & Co. und Schule. Einschätzungen der Professur "Digitalisierung und Bildung" der Pädagogischen Hochschule Schwyz. https://gmls.phsz.ch/ (abgerufen am 03 Oct 2024)